Mittwoch, 30. Juni 2010

"Level 26" : Das Grauen im Web erleben

Eine neue Dimension des Lesens verspricht der TV-Serienautor Anthony E. Zuiker in seinem Thriller „Level 26 – Dark Origins“. Dieses Buch soll man nicht nur lesen, sondern erleben. Gucken, gruseln, interagieren. Denn nach jeweils rund zwanzig Seiten kann man sich auf der Webseite zum Buch einloggen und kurze Filmsequenzen ansehen. Sie sollen die Geschichte bereichern und Brücken zwischen den Kapiteln bauen. Für Drehbuch und Regie ist ebenfalls der Autor verantwortlich, der als Erfinder der Fernsehserie CSI weltweit ein Milliardenpublikum anzieht. Seinen neuen Coup nennt er „Erzählform 2.0“. Zuiker hat diese erste „Digi-Novel“ der Welt auch schon als Handelsmarke registrieren lassen. Aber bereichern diese „Cyberbridges“ wirklich das Lesevergnügen?

Lesen kann man im Bett, auf dem Sofa, in der Bahn und im Flugzeug. Im Liegen, im Stehen, sogar beim Gehen. Ein Buch lesen kann man eigentlich immer und überall. Aber haben Sie sich schon mal mit dem Laptop ins Bett gekuschelt, aufs Sofa gelümmelt oder gar aufs stille Örtchen zurückgezogen? Da wird es schwierig, auch, weil dem Ding der Saft genau dann ausgehen kann, wenn es gerade richtig spannend ist. Und das ist Anthony E. Zuikers Thriller „Level 26- Dark Origins“ allemal.

Danach teilen die amerikanischen Behörden Killer nach ihrem Gefährlichkeitsgrad in Level ein: Stufe 1 wird Zufallstätern zugeordnet, Stufe 25 Folterern und Schlächtern, „die sich durch Abgründe an Grausamkeit und Perversion hervortun, welche sich dem normalen Begriffsvermögen entziehen“, wird im Vorwort erklärt. Level 26 jedoch ist der Gipfel, und bisher gibt es nur einen Psychopathen, der in dieser Kategorie von einer geheimen Spezialeinheit gejagt wird: Sqweegel.

Zuiker tötet die Phantasie

Sqweegel ist eine Bestie, die jede Vorstellung vom Bösen übertrifft. Sie mordet erbarmungslos. Vergewaltigt, verstümmelt, foltert, verbrennt, vergiftet, erschießt in zwanzig Jahren mindestens 35 Menschen in sechs Ländern. Mit Hingabe vor allem Frauen, eine junge Mutter, deren Kind das nackte Grauen miterleben muss. Was schon beim Lesen von „Level 26 - Dark Origins“ äußerst brutal, pervers und für eine Veröffentlichung grenzwertig ist, ist in der Filmsequenz purer Horror.

Aber Sqweegel tötet nicht nur die wehrlose Frau, er tötet auch die Phantasie des Lesers. Jetzt kann man ihn sich nicht mehr in der Latexhaut vorstellen, jetzt gibt es nur dieses eine Bild, das man mit allen anderen Level 26-Lesern teilen muss: ein zuckender Schlangenmensch in weißem Plastik mit schwarzem Reißverschluss vor dem Mund. Sein „Killroom“ ähnelt einer vernebelten Kühlkammer im Schlachthaus, und Steve Dark, sein Jäger von der Elitetruppe, ist in der Phantasie ein knallharter Bursche, im Film jedoch ein nachdenkliches Weichei mit Zopf.

Der Beste gegen die Bestie

Steve Dark wird als der Beste der geheimen amerikanischen Spezialeinheit beschrieben, die solchen irrenTypen wie Sqweegel das Handwerk legen soll. Er ist ein Jäger, der sich in den Täter hineindenken kann, in seinen Verstand, sein Handeln. Und doch bleibt er in diesem Thriller stets der Gejagte. Sqweegel treibt ein sehr, sehr böses Spiel mit ihm und ist ihm immer eine Nasenlänge voraus. Er legt die Fährte, auf der Dark hinterherhechelt. Sqweegel spielt mit ihm, als gelte es, eine persönliche Rechnung mit ihm zu begleichen. Darks Pflegefamilie hat er schon umgebracht, jetzt misshandelt er – noch unbemerkt - Darks Frau Sibby. Das bleibt bis zum Schluss des ersten Teils dieser Trilogie entsetzlich spannend.

Und es kommt, wie es kommen muss: Immer, wenn ein Code für die Digi-Novel genannt wird, ist der Laptop natürlich weit, weit weg. Aber auch der Autor scheint dem Wechselspiel mit den Cyperspace nicht zu trauen: Er erklärt die Filmsequenzen stets ein paar Seiten später, oder sie sind ohnehin aufgebläht und unnötig: Wieso zum Beispiel muss man eine SMS als Filmchen sehen? So wie dies Zeitverschwendung ist, gibt es auch Längen im 425 Seiten starken Buch, das mit 107 jeweils recht kurzen Kapiteln eher wie ein Seriendrehbuch als ein klassischer Thriller geschrieben ist. Das multimediale Erlebnis hält sich (noch) in Grenzen. Die Idee ist interessant, aber noch entwicklungsfähig.

Fans dürfen den Thriller weiterspinnen

Trotzdem weckt der letzte Cliffhanger schon die Neugier auf die angekündigte Fortsetzung, an der die Fans (die den Laptop übrigens immer griffbereit haben) eifrig mitbasteln können. Zuiker fordert auf seiner Level-26-Webseite dazu auf, sich mit ihm auszutauschen und die Geschichte selbst „weiterzudrehen“. Zusatzangebote wie die Möglichkeit zur Akteneinsicht der Ermittler, Telefonmitschnitte oder E-Mail-Korrespondenzen der Romanfiguren können dabei inspirieren. Das allerdings ist nichts Besonderes mehr, denn Homepages und Blogs zu Büchern gibt es auch bei anderen Autoren, sei es Dan Brown oder Stephenie Meyer. Kaum ein Schriftsteller nutzt nicht das Internet, um selbst oder über den Verlag in Kontakt mit den Lesern zu kommen und eine „Online-Community“ zu schaffen. Auch Trailer bei Youtube sorgen für erfolgreiches Marketing.

Eine interessantere Entdeckung im Internet ist die Seite www.fanFiktion.de, auf der es völlig unbekannte und verschlüsselte Autoren gibt, die Bestseller-Geschichten so schön und spannend weiterspinnen, dass sie selbst Ruhm und Ehre verdient hätten.

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