Freitag, 14. Januar 2011

Alles unter einem Hut

Das Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ ist am Potsdamer Platz in Berlin angekommen

Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung rast Udo Lindenberg mit seinem „Sonderzug nach Pankow“ mitten hinein in ein Musical um die Themen deutsche Teilung, Mauerfall und die ganz große Liebe in Ost-Berlin. Die neue Produktion der Stage Entertainment „Hinterm Horizont“ wurde gestern im Theater am Potsdamer Platz uraufgeführt. Das passt: Genau dort ging jahrzehntelang ein Riss durch die Welt. Hier der Westen, dort der Ostblock. Aber jetzt ist alles klar auf der Andrea Doria, das Musical mit 26 Songs von Udo Lindenberg ist eine Hommage an sein Lebenswerk.

1983 war noch alles anders. „Panik“ steht auf dem Gürtel von Schlosserlehrling Elmar, der damals in der DDR nichts lieber sein wollte als frei. Frei, um die Welt kennen zu lernen. Frei, um Udo Lindenberg mit seinem Panikorchester beim Konzert „Rock für den Frieden“ im Palast der Republik live mitzuerleben. Für Elmar (Christian Sengewald) ist der lässige Musiker aus dem Westen einer, der „mal Klartext“ redet. „Wenn ich Udo reden höre, kriege ich die Hoffnung, dass sich doch noch was ändert!“, sagt er zu seiner Schwester Jessy, mit der er gemeinsam „gegen die Strömung, gegen den Wind“ strebt. Jessy, als FDJ-Mädchen dazu ausgewählt, Udo nach dem Konzert artig Blumen zu übergeben, wird für den Rockstar im Musical „das ganz heiße Mädchen aus Ost-Berlin“.

Hat Udo einen Sohn vom Mädchen aus Ost-Berlin?

Für eine „Superstory“ zum Thema 20 Jahre deutsche Einheit weckt die Journalistin Mareike (Nadja Petri) ihre Erinnerungen. Regisseur Ulrich Waller, Intendant des St. Pauli Theaters in Hamburg und ein guter Freund von Udo Lindenberg, hat diese als roten Faden für das Musical zwar rührend, aber nicht allzu kitschig gesponnen. Geschickt verknüpft er historische Filmaufnahmen mit den Szenen auf der Bühne oder in nachgedrehten Sequenzen, gibt einen Einblick in Lindenbergs Stasi-Akte und in die Plattenbau-Wohnstuben damals und heute. Erfolgsautor Thomas Brussig („Sonnenallee“), der den Hype um Lindenberg als „echter Ossi“ erlebt hat, sorgt für witzige, hintergründige und pointierte Dialoge. Udo Lindenberg selbst vertraut nicht nur auf seine Musik und den satten Sound (arrangiert von Henrik Menzel und Andreas Herbig), sondern heizt das Musical zurzeit werbewirksam als „nah an der Realität“ an. Ob es die geliebte „Manu“, im Musical Jessy genannt, wirklich gegeben hat, lässt er genauso offen wie die Frage nach dem gemeinsamen Sohn.

Udos Markenzeichen, der Hut, prägt in XXXL-Größe das Bühnenbild (Raimund Bauer). Im Prolog spiegeln sich in den Gläsern der ebenfalls für den Altrocker typischen Sonnenbrille die Bilder zu Mauerbau, spontaner Flucht und ergreifenden Abschiedsszenen, während die verräterischen Worte Walter Ulbrichts fallen: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ Regisseur Waller schafft einen schönen Übergang zum Musical, wenn Serkan Kaya als Udo-Double auf dem Riesen-Hut sein erstes Lied vom „Mädchen aus Ost-Berlin“ singt.

Kaya hat die Gesten, Bewegungen, das schnoddrige Nuscheln, die dünne Stimme und den „äußerst fragwürdigen Umgang mit einem hochwertigen Konsumgut“ (O-Ton Stasi zum Spiel mit dem Mikrofon) so gut drauf, dass Udo Lindenberg ihn zu seinem „geilsten Stellvertreter auf Erden“ gekürt hat. 100prozentig nüchtern auf der Bühne trägt er maßgeblich zum Gelingen dieses Berlin-Musicals bei.

Gitarren statt Knarren

Darin wird es schwierig mit der Liebe zu Jessy (einfühlsam gespielt von Josephin Busch). Die, die am liebsten unter einer Decke stecken würden, müssen ständig auf der Hut vor der Stasi sein. Regimekritik gibt es in fetzigen Tanzszenen (Choreografie Kim Duddy), etwa wenn die jungen „Blauhemden“ vor dem Haus der Talente aus dem DDR-eigenen Lipsi-Tanz ausbrechen und beim Boogie-Woogie oder Rock’n Roll abhotten. Im Gleichschritt marschieren Kampftruppe und Gitarristen auf: „Gitarren statt Knarren“. Mit vielen Details ausgeschmückt ist Jessys Ankunft in Moskau, wo sie Udo während eines Konzerts wiedersieht. Zur Parodie geraten die Szenen in „Erichs Lampenladen“, als die Genossen Udos Konzerttournee verbieten und voller Panik vor einem Aufruhr selbst ein Double für Udo Lindenberg casten. Bevor es zu Elmars Ballonflucht - direkt vorbei am „Republikpalast“ - kommt, geht’s bei der Stasi so brutal zu, dass Jessy notgedrungen zur informellen Mitarbeiterin „IM Regenwurm“ wird. Für Udo ist es deshalb aus mit der Liebe.

Erst zum 20-jährigen Jubiläum der deutschen Einheit finden sie im Foyer von Lindenbergs Dauerwohnsitz, dem Hamburger Hotel Atlantic, wieder zusammen. Sohn Steve (als Jugendlicher „voll korrekt“: Christopher Brose) erschrickt beim Gedanken an Schlagerpapa Udo. Zunächst denkt er an „den Bademantel-Opi“ (in Anspielung auf Udo Jürgens, dem derzeit in Stuttgart das Stage Entertainment-Musical „Ich war noch niemals in New York“ gewidmet ist), dann erst an „Mr. Coolman“: „Der ist ja noch schlimmer.“ Udo Lindenberg (64) ist mit seinen Fans in die Jahre gekommen. Reif fürs Musical. Standing Ovations fürs gesamte Team, und natürlich besonders für den anwesenden echten Star, der beim Premieren-Finale selbst auf der Bühne rockt.

Carmen Oesterreich

Info: Hinterm Horizont, Theater am Potsdamer Platz, Marlene-Dietrich-Platz 1, Berlin.

Tel.: 01805/44 44, www. stage-entertainment.de, Karten kosten 36 bis 116 Euro.

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