Freitag, 1. Juli 2011

Romeo und Julia - Tanzprojekt in Heidelberg

Assi Stress zwischen

feinen Pinkeln und aufgestylten Punks

Packende PVC-Premiere von „Romeo und Julia“

mit 50 jugendlichen Tänzern und großem Orchester im Opernzelt

Von Carmen Oesterreich

Wenn man vergisst, dass da oben das Orchester spielt und unten getanzt wird, wenn Musik und Choreographie zu einem Ganzen verschmelzen und wenn so mancher Zuschauer hin und wieder schlucken oder sich gar dezent die Augen reiben muss – dann passiert etwas so enorm Spannendes und Bewegendes im Opernzelt in Heidelberg, dass man danach ruhig von einem „großen Abend“ sprechen darf. Das liegt natürlich einerseits an der dankbaren, jahrhundertealten, tragischen Liebesgeschichte zwischen Romeo und Julia, andererseits aber liegt es noch mehr an der großartigen Leistung der fast fünfzig Mädchen und Jungen zwischen elf und 21 Jahren. Sie alle sind die Stars des Abends.

Choreograph Gary Joplin hat das Tanzprojekt einstudiert

In dieser Koproduktion von pvc Tanz Freiburg Heidelberg, dem Philharmonischen Orchester und dem Haus der Jugend tanzen sie (fast) so perfekt und vor allem ausdrucksstark wie die Profis. Der Choreograph und Tänzer Gary Joplin hat das Tanzprojekt mit den jungen Laientänzern seit Ende Januar einstudiert und sich dabei auch auf die aktuellen Befindlichkeiten der Jugendlichen eingelassen. So stellen sie mit „Romeo und Julia“ nicht so sehr die Liebesgeschichte der Kinder aus zwei verfeindeten Familien dar, wie es im 16. Jahrhundert William Shakespeare gemacht hatte, sondern sie zeigen eine aktuelle Geschichte vom Scheitern ganzer Banden. Man denkt erst ein bisschen an die West-Side-Story, die den Familienclinch in einen New Yorker Bandenkrieg einbettet.

Familie ist out

Aber hier ist Familie ganz out, die Clique ist der Ersatz. Miteinander geredet wird nur übers Handy. Romeo macht seine Freundin Rosalinde per SMS zur Ex:„ will keinen Stress, sorry“. Übers so genannte „soziale Netzwerk“ wird gemobbt, bis es Tote gibt. Aus Facebook wird an der Leinwand „Facebruch.Komm“, sei es nun der Gesichtsverlust des Einzelnen oder der erhoffte Bruch der Bloggerin Benvolia (Fatima Cinemre) mit diesem Datengiganten im Internet. In ihrem letzten Blog erzählt sie die Story von „Romeo und Julia“ rückblickend.

Zeitgenössischer Tanz zur Musik von Sergei Prokofjew

Mit einem Fingerschnipsen von ihr setzt das Philharmonische Orchester Heidelberg mit der wunderschönen Ballettmusik von Sergei Prokofjew ein, während sich die eher gelangweilten Jugendlichen auf einem düsteren Gelände zu ihren typischen Revierkämpfen treffen. Die Capulets sind gekleidet wie kleine Mafiosi in Pink und Grau, die Montagues gestylt wie Punks (Bühnenbild und Kostüme: Ariane Schwarz und Julica Schwenkhagen). Assi Stress gibt es erst, als sich Mont Romeo (Doga Gürer) und Cap Julia (Sina Schiller) ineinander verlieben. Sie wird als „Schlampe“ denunziert, der „Wixxa“ vor dem „Scheiß“ gewarnt.

Unter dem Dirigat von Ivo Hentschel (der nach der Vorstellung für sein besonderes Engagement mit dem Preis des Theater-Freundeskreises ausgezeichnet wurde) erklingt die Musik so eindringlich wie zurückhaltend zugunsten der „Gangster“, deren tänzerischer Kampf mit Ellenbogen, Fußtritten und einer Furcht einflößenden Mimik „Stil“ hat. Viele Ideen vom klassischen Ballett über Modern Dance bis zum Breakdance werden unter der Regie und Choreographie von Gary Joplin sehr stimmig zu Musik und Handlung umgesetzt. Das passt alles gut zusammen und wird durch die rasanten „Breaks“ der Skater und Breakdancer aus dem Haus der Jugend, die den Tod vorausahnen, noch verstärkt.

Tanz in den Tod

Besondere tänzerische Leichtigkeit zeigt Mercutio (Julik Mkrtumian), der quirlig und übermütig solange um die Gegner herumtänzelt und provoziert, bis es ihn hart erwischt. Nach seinem Tod wird‘s ernst. Er bleibt nicht der einzige, da bleiben alle treu an Shakespeares Story. Bemerkenswert ist, wie gefühlvoll die Stimmung umschlägt und die Tänzer ihrer Trauer um Julia nachspüren – da herrscht, abgesehen von der Musik, Totenstille im Opernzelt! .

Schade, dass diese, am Ende mit viel Applaus gelobte letzte Premiere unter der Intendanz von Peter Spuhler nur noch zwei Mal aufgeführt wird: am 2.7. um 19.30 Uhr und am 3.7. um 18 Uhr im Opernzelt (Karten unter Tel.: 06221/ 582 00 00).

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