Montag, 1. August 2011

Interview mit Duden-Chef Dr. Werner Scholze-Stubenrecht

„Durch die sozialen Netzwerke wird so viel geschrieben wie nie zuvor“

Dank Konrad Duden ist das bis heute nach ihm benannte Standardnachschlagewerk nun schon seit mehr als 130 Jahren eine maßgebliche Instanz für alle Fragen zur deutschen Rechtschreibung. Weil die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Dudenredaktion dem Volk ständig „aufs Maul schauen“, alle Trends und Wortschöpfungen beobachten und dokumentieren, hat sich das „orthographische Wörterbuch“ im Laufe der Zeit so verändert, dass mittlerweile die 25. Ausgabe des „Duden“ vorliegt. Carmen Oesterreich sprach mit dem Chef der Dudenredaktion, Dr. Werner Scholze-Stubenrecht, über seinen Auftrag, das Anliegen des „Vaters der deutschen Rechtschreibung“ nach einer einheitlichen und einfachen Rechtschreibung zu pflegen.

?: Ist es heute schwieriger als für Konrad Duden, eine einheitliche und einfache deutsche Rechtschreibung zu vermitteln?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Wir haben seit 1901 im deutschen Sprachraum immerhin eine Einheitlichkeit, die zu Konrad Dudens Zeiten erst erarbeitet werden musste – wozu er ja auch maßgeblich beigetragen hat. So einfach, wie er sie sich gewünscht hätte, ist die Rechtschreibung aber auch heute noch nicht geworden, und deshalb bleibt für die Dudenredaktion noch viel zu tun.

?: Wie oft müssen Sie selbst im Duden nachschlagen?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Sicher häufiger als die meisten anderen Menschen, weil mir die vielen Möglichkeiten, etwas falsch zu schreiben, besonders bewusst sind. Je nach Tagesform muss ich mich immer wieder einmal vergewissern, dass man „Galerie“ tatsächlich nur mit einem l schreibt oder dass für „zu Ende“ nur die Schreibung in zwei Wörtern gilt.

?: Werden durch die Rechtschreibreform mehr Fehler gemacht als vor der Reform?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Das weiß ich nicht. Theoretisch müssten es schon deshalb weniger sein, weil häufiger als früher zwei Schreibweisen zulässig sind. Andererseits gibt es noch relativ viele Bücher in alter Rechtschreibung, sodass sicher bei einigen Schreibenden noch eine gewisse Verunsicherung besteht.

?: In Aufforderungen zum Beispiel für Schüler oder Köche lese ich oft „lese“ statt „lies“ und „nehme“ oder „gebe“ statt „nimm“ oder „gib“. Laut Duden ist das falsch! Nehmen Lehrer und Lektoren die amtliche Rechtschreibung und Grammatik nicht mehr ernst?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Das kann ich nicht bestätigen. Es werden nach wie vor viele Wörterbücher, Grammatiken und Sprachratgeber gekauft, und auch die Duden-Sprachberatung kann sich über fehlendes Interesse an richtigem Deutsch nicht beklagen.

?: Sehen Sie die Hüter der deutschen Sprache als ewig gestrigen Bremsklotz für eine stetige, auch globale Entwicklung, die Abkürzungen und Anglizismen in die Nationalsprache aufnimmt?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Abkürzungen und Übernahmen aus anderen Sprachen kennt das Deutsche schon seit Jahrhunderten, und schon ebenso lange haben sich Menschen immer wieder darum bemüht, diese Entwicklungen nicht überhandnehmen zu lassen. Über die Sprache nachzudenken und zu diskutieren und sie bewusst zu gebrauchen, ist nie verkehrt.

?:„Iwo“ in einer SMS oder bei Twitter oder Facebook bedeutet „irgendwo“. Welchen Einfluss haben die sozialen Netzwerke oder auch der Hang zu Kurzmeldungen auf die Sprache?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Durch die sozialen Netzwerke, die Blogs und die Chatrooms wird in den elektronischen Medien so viel geschrieben wie nie zuvor. Verkürzungen, die schnellere Kommunikation ohne Verlust von Inhalt ermöglichen, sind dabei durchaus legitim. Als man noch Telegramme verschickte und aus Kostengründen „Ankomme Freitag“ statt „Ich werde am Freitag ankommen“ schrieb, hatte das auch keine besonderen Auswirkungen auf den allgemeinen Sprachgebrauch.

?: Eine gemeinsame Sprache bedeutet Identifikation mit der Peergroup genauso wie mit der Kultur eines Landes. Welche Verantwortung trägt der Duden gegenüber der Gesellschaft?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, über die Sprache zu informieren. Wir vermitteln die sprachlichen Standards, die in der Rechtschreibung staatlich vorgegeben und in den anderen Bereichen durch die sprachwissenschaftliche Beobachtung und Beschreibung des Sprachgebrauchs geprägt sind.

?: Warum findet man zum Beispiel das diskriminierende Wort „Assi“ (jugendsprachl. für abzulehnender Mensch) im Duden?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Weil auch umgangssprachliche Elemente und Schimpfwörter zu unserer sprachlichen Wirklichkeit gehören. Durch deren Beschreibung und entsprechende Markierung kann man im Wörterbuch sehen, dass nicht alles, was gesagt und geschrieben wird, in jeder Situation angemessen ist.

?: Der „Duden“ ist längst nicht mehr nur ein Wörterbuch, sondern bietet in insgesamt zwölf Bänden Informationen zu Aussprache, Stil, Fremdwörtern, Synonymen – auch in digitaler Form als Download oder Software-Anwendung. Auch im Kinder- und Schulbuchbereich ist „Duden“ eine Marke ‑ bis hin zur Lerntherapie und Sprachberatung. Wie groß ist der Bedarf an Unterstützung?

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht: Die breite Auffächerung unseres Angebots zeigt, dass es die vielfältigsten Bedürfnisse nach sprachlicher Information, nach Rat und Empfehlung im Bereich der deutschen Sprache gibt. Wir versuchen, dieser Nachfrage nach besten Kräften gerecht zu werden, und glauben, dass uns das auch recht gut gelingt.

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